Freitag, 09. Juni 2023
Die Entwicklungen im Wärmebereich sind für mittlere und kleine Energieversorgungsunternehmen (EVU) nicht immer einfach abzuschätzen. Unsere Wärme-Expert:innen erklären, wie EVU sich optimal für die Zukunft aufstellen und eine konkurrenzfähige Wärmeversorgung bieten können.
Nadin: Klimapolitischen Massnahmen stellen EVU vor die Herausforderung, sich dem zu erwartenden Nachfragerückgang nach fossilem Erdgas anzupassen und langfristig ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Eine Energiegesetzgebung wie beispielsweise in den Kantonen Glarus, Basel-Stadt und Zürich, wird zu einem deutlichen Rückgang des Gasabsatzes führen. Dies führt nicht nur zu einem Umsatzrückgang für EVU, sondern auch zu höheren spezifischen Verteilkosten, welche - umgelegt auf verbleibende Bezüger:innen - den Absatzrückgang weiter beschleunigen können.
Christoph: Insbesondere kleinere und mittlere EVU im Besitz der öffentlichen Hand sind einem Spannungsfeld ausgesetzt. Einerseits sind sie angehalten, sich aktiv an der Umsetzung von energiepolitischen Massnahmen zu beteiligen, wobei einzelne Städte und Gemeinden häufig bereits ambitioniertere Ziele verfolgen als die Kantone. Andererseits müssen sie wirtschaftlich operieren. Beides sind sicher nachvollziehbare Forderungen, aber in der konkreten Umsetzung dann eben doch herausfordernd und bedingen eine sorgfältige Planung.
Nadin: Wir empfehlen jedem EVU, eine strategische Zielnetzplanung vorzunehmen. Als erstes sollte analysiert werden, wo das EVU in Bezug auf leitungsgebundene Energieträger heute steht, und wie sich klimapolitische Entwicklungen auf deren Nachfrage auswirken. Bei der Quantifizierung der Auswirkungen legen wir bei Energie Zukunft Schweiz (EZS) jeweils grossen Wert auf die Ausarbeitung unterschiedlicher Entwicklungsszenarien. Sich auf Umbrüche vorzubereiten bietet die Chance, weiter vorauszublicken und das Geschäftsmodell eines EVU für die Zukunft aufzustellen.
Christoph: Als wichtig erachten wir auch, die Zielnetzplanung gemeinsam mit der Erarbeitung eines Energierichtplans vorzunehmen, insbesondere wenn Gebiete für Wärmeverbünde ausgeschieden werden. Die Wärmebedarfsdichte ist ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für eine wirtschaftliche Verbundslösung. Es braucht auch einen geeigneten Zentralenstandort und eine langfristig gesicherte Wärmequelle. Diesen Aspekten ist frühzeitig auch raumplanerisch Rechnung zu tragen. EBP hat zur Energie- und Zielnetzplanung für Gas und Wärme übrigens einen sehr guten Ratgeber erarbeitet, den wir gerne empfehlen.
Nadin: Zum einen sollen ganz konkret Fehlinvestitionen in Gasnetze vermieden werden. Zum anderen ist das Zeitfenster für die Entwicklung von Wärmeverbunden jetzt voll geöffnet. Erfahrungen aus verschiedenen Gebieten zeigen, dass der Heizungsbestand mehrheitlich veraltet ist. Viele Öl- und Gasheizungen müssen in den nächsten fünf Jahren ersetzt werden. Dies bietet für EVU die Chance auf Projekte mit positiver Rentabilität. Damit können bestehende Kund:innen des Gasnetzes nicht nur behalten, sondern auch neue Kund:innen gewonnen werden, die bisher zum Beispiel mit Öl geheizt haben. Da sich - unabhängig von einschneidenden politische Vorgaben - sehr viele Immobilienbesitzer:innen für eine erneuerbare Wärmelösung entscheiden, dürfte die Anschlussdichte in den kommenden Jahren aber in vielen Gebieten auf ein kritisches Mass ausgedünnt werden.
Energie Zukunft Schweiz hat gemeinsam mit ausgewählten Partnern ein erfolgreiches Wärmenetzprojekt entwickelt, um die Abwärme auf der ARA Birs für die Versorgung des Basler Lehenmattquartiers zu nutzen. Statt die Abwärme in den Rhein zu leiten können so über 2’000 Haushalte mit Wärme versorgt werden und jährlich über 3’000 Tonnen CO₂ eingespart werden.